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Die Vorgeschichte
Seit Pfingsten arbeite ich an einem größeren Projekt, das mich u.A. als Musiker und Informatiker auf vielen Ebenen inspiriert und fordert:
Das Ganze fing damit an, dass ich mich etwas intensiver mit dem aktuellen Programm des Ernst-Bloch-Chors auseinandergesetzt habe, wo verschiedene Lieder zum Thema “Heimat” zu einer größeren Einheit verwoben wurden.
In der traditionsreichen Tübinger Sängergemeinschaft gibt es viele Mitglieder, die hier schon seit Jahrzehnten ihr gesangliches und auch politisches Zuhause gefunden haben. Mit meiner knapp zweijährigen Mitgliedschaft kann ich mich sicher noch nicht als richtigen “Einheimischen” bezeichnen, aber durch die ausgeprägte Willkommenskultur im Chor, habe ich mich schon nach kurzer Zeit recht wohl gefühlt.
Unabhängig von der Gesangskunst interessiert mich das Thema “Heimat”, weil ich bis jetzt immer noch nicht so richtig weiß, wo ich eigentlich “hingehöre”. Aufgewachsen bin ich im bayerisch-schwäbischen Landkreis Dillingen, direkt an der Grenze zu Baden-Württemberg:
Wahrscheinlich liegt es auch an der besonderen geographischen Lage, dass ich mich nie als “richtigen” Bayern empfunden habe. Zudem kommen meine Eltern ursprünglich aus dem Allgäu, weshalb wir uns selbst nach Jahrzehnten in der Region immer noch ein bisschen als “Die Zugereisten” gesehen haben.
Am ehesten würde ich mich vielleicht noch als “Süddeutschen Schwaben” bezeichnen. Und da passt es doch jetzt ganz gut, dass ich im Folgenden von meiner Arbeit an der Schwabenhymne “Mir im Süden” berichte, welches übrigens auch einen Teil des Programms vom Ernst-Bloch-Chor darstellt.
Das Werk kommt von dem A-cappella-Quintett Füenf, wo ich nachlässigerweise zunächst das zusätzliche “e” im Namen übersehe . Kann sich jemand vorstellen, was Tenor “Justice” dann auf meine Frage geantwortet hat, …
“Weil wir es können “
Mit Interesse lese ich auf der Webseite über die anderen aktiven Bandmitglieder, welche ebenfalls alle Künstlernamen tragen, nämlich “Pelvis”, “Memphis”, “Little Joe” und “Dottore Basso” .
Dabei erfahre ich zum Beispiel, dass “Little Joe” aus der Stadt Calw stammt, die nur wenige Kilometer von der Gemeinde Althengstett entfernt liegt, in der ich übrigens selbst fünf Jahre lang gewohnt habe:
Interessanterweise fühle ich mich dadurch gleich heimatlich verbundener mit der Band, die schon seit 27 Jahren in verschiedenen Besetzungen existiert, wobei die Sänger “Bass”, “Freytag”, “Laszlo”, “Bass Spencer” und “Karuso” heute nicht mehr mit von der Partie sind.
Das Lied “Mir im Süden” stammt aus der Feder der beiden Kollegen “Laszlo” und “Pelvis”, die das Stück im Jahr 2002 anläßlich des 50. Geburtstags von Baden-Württemberg vollendet haben.
Netterweise bietet die Gruppe zwei Chorsätze zum kostenlosen Download an und man wird auf der Webseite sogar explizit aufgefordert, die “Schwabenhymne” in die Welt zu tragen:
Na das lasse ich mir doch nicht zweimal sagen und lade die Partitur für den Männerchor herunter.
Zum Glück habe ich gerade Besuch von vier sangesfreudigen Kollegen, mit denen ich in den nächsten Tagen ein Musikvideo für den Song produzieren will.
Und passenderweise ist das Stück vierstimmig für “Tenor 1”, “Tenor 2”, “Bass 1” und “Bass 2” gesetzt und somit zufälligerweise genau für die Tonlagen meiner vier Gäste geeignet.
Aber was sind das eigentlich für Typen, die mich hier im Philosophenweg bei dem Projekt unterstützen wollen?
Der Chor
Tenor 1 ist ein attraktiver, selbstbewusster Geschäftsmann, der mit seiner amerikanischen Nonchalance besonders bei den Frauen gut ankommt. Er legt viel Wert auf sein gutes Aussehen und eine standesgemäße Kleidung.
Wie es der Zufall will, trägt er den gleichen Namen, wie mein langjähriger Freund aus der “Schul-, Zivi-, Uni- und USA-Zeit;-)”:
Tenor 2 mit seiner Bildschirm-Gleitsicht-Brille ist ein perfektionistisch veranlagter Wissenschaftler mit rudimentären Informatikkenntnissen. Er ist sehr von sich überzeugt und glaubt, immer alles besser zu wissen.
Meine Bekannte aus dem Philosphenklub würde wahrscheinlich “Schlaule” zu ihm sagen, aber der Mann heißt in Wirklichkeit so, wie mich mein alter Zimmerkollege in den ersten Jahren der “IBM-Zeit” immer genannt hat:
Bass 2 ist ein sehr ambitionierter aber manchmal leicht “übermotiviert” und “hibbelig” wirkender Künstler. Dafür hat er sich aber seine kindliche Art bewahrt, die wahrscheinlich sein kreatives Schaffen erst möglich macht.
Aus unterschiedlichen Gründen erinnert mich mein dritter Besucher gleich an zwei Personen aus meiner jüngeren “Tübinger-Zeit”, nämlich an meinen Künstler-Freund “Michael” und meinen Tennis-Lehrer:
Bass 1 schließlich, ist Projektleiter, der, wenn es die Zeit erfordert, auch mal “füenf gerade” sein lassen kann. Er strahlt viel Zuversicht und Ruhe aus. Und wenn die “Kacke” mal wieder voll am Dampfen ist und alle kopflos durcheinander rennen, sagt er einfach nur charmant “Ganz tranquillo, Leidle!”.
Der Spruch erinnert mich an die “Schul- und Calwer-Zeit”, wo mich ein Freund aus den Nachbarorten immer “Michl” genannt hat. Möglicherweise schreibt sich aber unser Bass so, wie ich in der “Marigné-Peuton-Zeit” gerufen wurde, nämlich französisch “Mich*e*l”. Und weil wir’s können , bekommt der “Meister der Flexibilität” jetzt einfach unbegrenzt *optionale* „e“s spendiert:
Die Audiodatei
Nachdem die Minimalbesetzung für das Lied nun soweit steht, konvertiere ich das heruntergeladene PDF, um die Partitur danach digital in dem Notensatzprogramm MuseScore weiter bearbeiten zu können:
Dann exportiere ich erst mal alle Stimmen als MIDI-Dateien aus der MuseScore Partitur …
… und importiere danach die Daten in meine Reaper DAW:
Im nächsten Schritt belege ich das Klavier und die einzelnen Stimmen mit einem passenden VST-Instrument, welches die beiden Klavierspuren dann schon mal ganz gut klingen lässt:
Klavier: Solo
Die vier Spuren für Gesang sind jeweils einstimmig ausgelegt, hier als Beispiel “Tenor 1” für Mike:
Tenor 1: MIDI
Anschließend geht es ans Einsingen der verschiedenen Stimmen nach der Vorgabe der MIDI-Spuren. Dadurch bekommen meine vier Künstler immer den „richtigen“ Referenz-Ton eingespielt und können so das bei meinem Ernst-Bloch-Chor so verhasste „Sinken“ komplett vermeiden:
Tenor 1: Mike & MIDI
Tenor 2: Micha & MIDI
Bass 2: Michi & MIDI
Bass 1: Mich[e]*l & MIDI
Ganz am Ende werden die MIDI-Spuren für den Gesang auf stumm geschaltet und schon haben wir ein ganz ordentlich klingendes Quartett mit Klavierbegleitung:
Weil mir eigentlich fast jedes Bier schmeckt, kann ich mich wahrscheinlich nicht als ausgewiesenen Bier-Experten bezeichnen. Deshalb will ich für die inhaltliche Richtigkeit des gesungenen Textes auch nicht unbedingt meine Hand ins Feuer legen.
Aber auf alle Fälle kenne ich schwäbischen Gerstensaft, der mir persönlich besonders nach dem Sport (vielleicht wegen einer besonderen Zutat?) *besonders* gut schmeckt:
Und echte Musik-Experten haben sicherlich auch schon bemerkt, dass im letzten Tonbeispiel ebenfalls etwas mehr steckt, als man von der Beschreibung her erwarten würde.
Ich konnte es mir einfach nicht verkneifen, mir selbst zwei kleine Cameo-Auftritte zu gönnen und habe deshalb für einen davon ein paar zusätzliche Noten in den “Final Mix” geschmuggelt.
Hier zum Vergleich die entscheidende Stelle nochmals etwas klarer herausgestellt mit und ohne meine geheime Zutat:
Final Mix mit geheimer Zutat
Final Mix ohne geheimer Zutat
Vielleicht kann ja jemand meine vier Noten heraushören? Aus „wissenschaftlicher“ Neugierde würde “Micha” nämlich interessieren, wieviele Menschen (oder auch Außerirdische) dafür genügend Talent bzw. entsprechende Schulung besitzen.
Ach ja, apropos “Micha”, … weil der mal wieder Perfektion einfordert, korrigieren wir dann in der Folge viele Stunden lang die Einsätze und die Kollegen müssen die kritischen Stellen immer wieder singen, bis die Harmonien auch wirklich passen.
Mit kritischem Blick überzeugt ihn dann aber Freigeist “Michi” irgendwann, dass in der Kunst zu viel Perfektion manchmal eher schadet und der Song, so wie er jetzt ist, “gerade richtig” ist:
Aus anderen Gründen sieht das unser Projektleiter “Michel” ganz genauso, der in der Zwischenzeit mit seinem geliebten Powerpoint übrigens noch ein schönes Schaubild für den Prozess bis hier her erstellt hat:
Die Videodatei
Aber was wäre ein Hit heutzutage ohne das dazu passende Musikvideo? Ursprünglich wollte ich dafür wieder Bluescreen-Technik verwenden, so wie vorletztes Weihnachten, als ich die Filme mit dem Ernst-Bloch-Chor und meinen Eltern produziert habe.
Als ich mich schon auf den Weg in den Hobbykeller machen will, fällt dann aber mein Blick auf den Spiegel in meinem Zimmer und ich komme auf die Idee, meine Sänger dieses Mal mit seiner Hilfe zu filmen.
Ich will das Ganze mit meinem Handy aufnehmen, was sich anbietet, weil das dann wie ein (großes) Mikrofon aussieht:
Nur wie bekomme ich jetzt das gute Stück auf den Mikrofonständer ? Zum Glück hatte ich vor ein paar Tagen für die potenzielle Fortsetzung meines Tennisblogs eine Handyhalterung bestellt …
… und zum weiteren Glück habe ich vor Jahren für viel Geld mal ein Einbeinstativ gekauft, …
… das ich zwar nie gebraucht habe, aber wo jetzt der abnehmbare Kopf …
… genau die fehlende Verbindung zwischen Mikrofonständer und Kamerahalterung liefert:
Schließlich ist dann spätabends mein Studio-Setup irgendwann komplett aufgebaut:
Im Vorfeld hatte ich für meine Sänger ganz im Sinne der Ernst-Bloch-Chor Tradition “Oben-Bunt” bereits vor ein paar Wochen “passende” Hemden bestellt, …
… allerdings war ich sehr unsicher, ob unser modebewusste “Mike” das so akzeptieren würde.
Aber zum Glück bin ich manchmal auch ein pfiffiges Kerlchen und komme noch auf die Idee mit der zusätzlichen Beleuchtung, …
… wodurch die Kostüme dann etwas plastischer und farbenfroher wirken. Trotzdem bleibt “Mike” skeptisch und schickt zur Sicherheit noch ein Foto zur Begutachtung an seine Marketingabteilung:
Damit sich unser Künstler „Michi“ beim Auftritt noch etwas mehr von der nicht ganz so kreativen Masse abheben kann, bastle ich für ihn dann noch ein kleines Accessoires:
Bis dann endlich alle zufrieden sind, ist es spät Abends geworden. Um meine Mitbewohner:innen nicht (noch mehr) zu belästigen, reiche ich den Kollegen meine brandneuen Bluetooth In-Ear Kopfhörer, …
… damit sie zu dem eingespielten Song pantomimisch im Flüsterton “singen” können:
Um 00:15 sind dann alle Takes im Kasten und wir fangen an, die Einzelteile im Videoschnittprogramm Adobe Premiere Pro zu montieren: Aus den vier verschiedenen Filmen erzeuge ich erst mal fünf Sequenzen, wobei die ersten vier jeweils für die “gezoomte” Nahaufnahme der jeweils einzelnen Künstler verwendet werden …
… und die fünfte Sequenz dann die Totale mit allen zusammen enthält:
Unser kleine Pedant “Micha” besteht darauf, dass alles schön symmetrisch und aufgeräumt wirken soll. Deshalb erzeuge ich mit Powerpoint und Gimp eine Maske …
… und packe dann die hochkantigen Videos im 9:16 Format dahinter:
Weil “Michl” wegen des Zeitplans mal wieder auf die Tube drückt und „Mike“ daraufhin zustimmend den angelsächsischen Begriff „Time-to-Market“ in den Raum wirft, schließen wir Nachts um 4:30 dann die erste Version des Videos ab und laden das Werk (noch nicht öffentlich) auf YouTube hoch.
“Michl” stellt erfreut fest, dass die Produktion des Films heute von 22:30 bis 4:30 insgesamt nur sechs Stunden benötigt hat. Aber weil “Micha” noch ein paar kleinere Schwächen aufgefallen sind, werkeln wir dann trotzdem noch bis zum Morgengrauen weiter.
Wir wollten meiner Dirigentin Anne sowieso noch eine E-Mail wegen des Gesamtprojekts schicken und unser Geschäftsmann “Mike” überzeugt uns, ihr dazu als kleine Werbeaktion exklusiv als Erste den Link auf das (fast) fertige Werk mitzuschicken:
Somit sind die offenen TODOs für heute erledigt und wir können uns alle zwar etwas erschöpft aber doch zufrieden in die Koje packen.
Über das Wochenende verbessern wir noch ein paar weitere Details: “Mike” findet sein Spiegelbild immer noch nicht knackig genug, weshalb wir die Farben und die Schärfe noch etwas aufpeppen, …
Aus “wissenschaftlichen” Gründen will “Micha” unbedingt noch, dass ich den Stereoton aus der Sicht des Publikums jeweils logischen Richtung abmische . Weil ich aber gerade mal wieder dringend “wo hin” muss, übernimmt das dann netterweise “Michi” für mich:
Als ich wieder zurückkomme, revanchiere ich mich und lasse dann, ganz im Sinne des logischen “Drehbuchs”, unseren schlauen Wissenschaftler am Anfang noch den Start des Klaviers am Computer durchführen :
Natürlich mit dem dazugehörigen Tastaturklick, nachträglich aufgenommen mit Audacity, ebenfalls in Stereo aus der simuliert korrekten Richtung:
Ach ja bei der Gelegenheit will ich noch kurz das geniale Multikamera-Feature erklären, mit dem man durch das Umschalten der bereits oben beschriebenen Sequenzen so schön Regie führen kann:
Das was ich gerade im Video gezeigt habe, ist dann übrigens die – sagen wir mal – “Final Cut” Sequenz, welche die geschnittene Multikamera-Sequenz enthält.
Damit wären wir eigentlich am Ende, aber der Ordnung halber besteht unser typisch deutscher “Prozess-Michel” noch darauf, …
… den Ablauf von den Kameraaufnahmen bis zur fertigen Videodatei zu dokumentieren:
Und diese Videodatei mit der Coverversion von “Mir im Süden” präsentieren nun unsere vier farbigen Männer mit freundlicher Genehmigung der “Füenf”:
Viele musikalische Grüße aus Tübingen!
Mike, Micha, Michi und Mich[e]*l a.k.a. Michael Holzheu
Ein gigantisches Projekt, dem ich ganz viele computer- und musiksachverständige. Follower wünsche.